Die Konflikte im Südostasiatischen Meer

Die Spur der Inseln

Machtspiele in Asien aus vietnamesischer Sicht

Von Rabea Brauer, Sarah Schulze, Sarah Schoenberger, 19. Juli 2013

Die Konflikte im Südchinesischen Meer gehören nach wie vor zu den größten sicherheitspolitischen Herausforderungen im asiatisch-pazifischen Raum. Die Implikationen der territorialen Streitigkeiten sind weitreichend und haben das Potenzial zu nachhaltigen diplomatischen Verstimmungen.

2.740.000 Quadratmeilen Wasser und etwa 780 Inseln stellen einen der größten Konfliktherde in Asien dar: das Südchinesische Meer. Überlappende Souveränitätsansprüche, schwindende Energieressourcen sowie aufkeimende nationalistische Empfindungen veranlassten beteiligte Staaten in den letzten Jahren zu vermehrt provozierenden Aktionen: die Spannungen in der Region sind deutlich erhöht.

Besonders umstritten sind die Spratley-Inseln – komplett oder teilweise von China, Taiwan, Vietnam, Brunei, Malaysia und den Philippinen beansprucht. Die Paracel-Inseln hingegen werden von China, Taiwan und Vietnam als Eigentum angesehen. Auf das Scarborough-Riff erheben China, Taiwan und die Philippinen Ansprüche. Während China seine Ansprüche innerhalb der 9-Punkte Linie anhand historischer Dokumente und Karten rechtfertigt, stützen die anderen Staaten ihre Forderungen größtenteils auf internationale Gesetze und auf das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 (SRÜ).

Im Wettlauf um die Inseln:

Chronologie des Konflikts zwischen Vietnam und China um die Spratly- und Paracel-Inseln

Ereignisse 2012

Juli 2012: China ernennt den Ort Sansha zur Präfektur der chinesischen Südprovinz Hainan mit Zuständigkeit über die Paracel- und Spratly-Inseln. Offizieller Regierungssitz der Sansha-Verwaltungseinheit sind die Woody-Inseln, welche zu dem Paracel-Archipel gehören. Vietnam und die Philippinen legen Protest ein. Im gleichen Monat verabschiedete das vietnamesische Parlament ein Gesetz, das die Verwaltung und Sicherung der vietnamesischen Gewässer –einschließlich der umstrittenen Paracel- und Spratly- Inseln – im Südchinesischen Meer (The Law of the Sea of Vietnam) regelt. Das Gesetz trat am 1. Januar 2013 in Kraft.

November 2012: Vietnam und die Philippinen protestieren gegen die neuen chinesischen Pässe, die Land und Seekarten innerhalb der 9-Punkte Linie zeigen.

Internationale Medien berichten über neue Verordnungen der Provinz Hainan, die es der chinesischen Küstenwache ab Januar 2013 erlauben, ausländische Schiffe zu betreten, zu inspizieren und festzuhalten. Nach Protest der internationalen Staatengemeinschaft verweisen chinesische Regierungsvertreter auf den beschränkten Geltungsbereich der Rechtsvorschriften. So seien die Verordnungen nur in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Chinas gültig und würden nur eingesetzt, wenn ausländische Schiffe illegalen Handlungen, die von offizieller Seite noch nicht definiert wurden, nachgehen.

Erneut werden Kabel eines vietnamesischen Forschungsschiffs von chinesischen Schiffen durchtrennt.

Dezember 2012: Wiederholte Demonstrationen in Hanoi und Ho-Chi-Minh Stadt gegen Chinas Ansprüche im Südchinesischen Meer. Vietnam regelt per Gesetz, dass ausländische militärische Schiffe ihre Einfuhr in die Hoheitsgewässer Vietnams im Voraus durch die zuständigen vietnamesischen Behörden bestätigen lassen müssen.

Ereignisse 2013

Januar 2013: Die vietnamesische Exekutive bekräftigt vietnamesische Besitzansprüche der Paracel- und Spratly-Inseln durch Bekanntmachung neuer historischer Karten.

April 2013: Chinesische Reisegruppen besuchen während einer Kreuzfahrt erstmals die umstrittenen Paracel-Inseln. Die vietnamesische Führung kritisiert die tourismuspolitischen Ambitionen Chinas und wertet sie als Eingriff in die territoriale Souveränität.

Mai 2013 – Juli 2013: Vereinzelte provozierende Aktionen im Konfliktgebiet.

Die Akteure im Konflikt:

Vietnam

Vietnams Anspruch auf die Paracel- und Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer ist nicht verhandelbar. Der Staat macht vollen Besitz geltend, denn auf Grund des wachsenden Energiebedarfs der vietnamesischen Volkswirtschaft misst die politische Führung den Inselgruppen einen hohen geostrategischen Stellenwert bei. Im Mai 2009 reichte Vietnam gemeinsamen mit Malaysia einen Antrag zur Erweiterung der Souveränitätsrechte über den bis auf 200 Seemeilen hinauslaufenden Festlandsockel bei den Vereinten Nationen ein. Die UN Kommission (CLCS) hat das Schreiben zur Kenntnis genommen aber bisher keine offizielle Stellungsnahme zu den Ansprüchen Vietnams im Südchinesischen Meer abgegeben.

Staatspräsident Truong Tan Sang bestätigt in Ansprachen, dass die politische Führung die Konfliktverschärfung mit großer Besorgnis verfolgt. Premierminister Nguyen Tan Dung legte die vietnamesische Position zur aktuellen sicherheitspolitischen Lage in seiner Grundsatzrede beim diesjährigen 12. Shangri-La Dialog im Mai ausführlich dar. Für die friedvolle Lösung der Konflikte in der Region sei laut Dung ein starkes gegenseitiges Vertrauen (’strategic trust‘) in der internationalen Staatengemeinschaft von Nöten. Sicherheitskooperationen und deren Mechanismen müssen gemäß Dung effizienter werden . Der Premierminister verwies erneut auf die Friedens-Verantwortung der Großmächte im asiatisch-pazifischen Raum. Vietnam selbst verfolge, so lautet zumindest die offizielle Regierungsposition, keine offensive Sicherheits- und Verteidigungs- bzw. militärische Aufrüstungspolitik.

Der anhaltende Konflikt um die Paracel- und die Spratly-Inselgruppen stellt die vietnamesisch-chinesischen Beziehungen vor große Herausforderungen. Es ist ein Thema, welches sowohl Vietnam als auch China innenpolitisch im Auge behalten müssen, da politische Kräfte in beiden Staaten nationalistische Motive bedienen. In beiden Staaten fürchtet die politische Führung angesichts sozioökonomischer Herausforderungen einen Legitimationsschwund in der Bevölkerung.

Im internationalen Kontext bindet Vietnam pro-aktiv geostrategische Partner wie Indien, Russland, Japan und die Vereinigten Staaten in die ASEAN-Strukturen ein. Insbesondere Vietnam drängt im Rahmen der DOC auf die schnelle Verabschiedung des verbindlichen regionalen Verhaltenskodex. Vietnam bevorzugt nach wie vor die Internationalisierung des Konflikts und steht damit konträr zu der von China bevorzugten bilateralen Lösung der Territorialstreitigkeiten.

China

Auf dem Kongress der Kommunistischen Partei Chinas im November 2012 sprach der ehemalige Staatspräsident Hu Jintao öffentlich über Chinas Ambitionen . China rechtfertigt seine unliebsamen Aktionen mit der Verteidigung seiner Souveränität. Chinas Territorialansprüche sind ebenfalls unverhandelbar, weil historisch bedingt. Die favorisierte 9-Punkte Linie entspricht nicht den Richtlinien des SRÜ und wird von den anderen Staaten nicht anerkannt . Die 9-Punkte Linie umfasst mehr als 80 Prozent des gesamten Südchinesischen Meeres und beschneidet die Territorialansprüche von Vietnam, den Philippinen, Malaysia und Brunei. Die chinesische Regierung veröffentlichte die Linie erstmals in einem Schreiben an den Generalsekretär der Vereinten Nationen in 2009.

Kontrolle über das Südchinesische Meer ist von großer Bedeutung für China: Die Spratly-Inseln stellen aufgrund ihrer geographischen Lage einen strategisch wichtigen Militärstützpunkt dar. Die vermuteten Öl- und Gasverkommen im Südchinesischen Meer könnten für China Energiesicherheit sowie effiziente Seehandelsrouten bedeuten. Ein Großteil des chinesischen Handels sowie 80 Prozent der chinesischen Ölimporte passieren das Südchinesische Meer.

Es ist daher zu bezweifeln, dass Chinas Aggressionen tatsächlich auf das dezentrale Handeln der Verwaltungen zurückzuführen sind. Es ist wenig nachvollziehbar, dass die neuen Landkarten in den chinesischen Pässen, das Durchtrennen der vietnamesischen Forschungskabel und die neuen Sicherheitsregeln der Hainan Provinz Entscheidungen von eigenständig agierenden Provinzbehörden waren. Auf gleiche Weise wird argumentiert, dass die für Meeresüberwachung zuständige Behörde, China Marine Surveillance Agency‚ im Scarborough-Riff-Fall 2012 Entscheidungen ohne Rücksprache mit Peking getroffen haben will.

Der Konflikt um das Scarborough-Riff drohte im Sommer 2012 zu eskalieren: Nachdem China das Riff in Besitz genommen und den Philippinen Zugang zu dem Gebiet untersagt hatte, nahm ein philippinisches Kriegsschiff acht chinesische Fischerboote nahe dem Riff mit der Begründung des illegalen Fischfangs in philippinischem Hoheitsgebiet fest.

Die Vereinigten Staaten von Amerika

Nachdem die ehemalige Außenministerin der Vereinigten Staaten, Hillary Clinton, im Juli 2010 während des 17. ASEAN-Gipfeltreffens in Hanoi bekannt gab, dass die Vereinigten Staaten ein nationales Interesse am Südchinesischen Meer hätten , wurde das Land zunehmend in den Konflikt involviert. Obwohl die Vereinigten Staaten keine Territorialansprüche in dem Gebiet haben, lehnen sie jedoch die umfassenden Besitzansprüche Chinas ab und sehen das Gebiet als ‚Hohe See‘ an. Im Kerninteresse der Vereinigten Staaten liegt die Aufrechterhaltung der freien Schifffahrt, der regionalen Stabilität und der internationalen Normen. Da fast die Hälfte des amerikanischen Welthandels das Südchinesische Meer passiert, ist die freie Schifffahrt von großer Bedeutung für die amerikanische Wirtschaft. Strategisch gesehen ist eine amerikanische Präsenz im Südchinesischen Meer unerlässlich. Das jedoch führt unweigerlich zu einer Polarisierung der Region zwischen den beiden Großmächten.

Die Perspektiven:

Schlichtung per Gericht?

Am 22. Januar 2013 beantragten die Philippinen ein Vermittlungsverfahren vor dem Internationalen Seegerichtshof in Hamburg, um den Konflikt mit China und die Legalität der 9-Punkte Line zu klären. Artikel 287 des SRÜ bietet die Möglichkeit, Streitigkeiten um maritime Hoheitsrechte und um die Auslegung des Übereinkommens durch ein Schiedsgericht zu lösen, dessen Entscheidung bindend ist. Obwohl China seine Teilnahme an dem Verfahren offiziell zurückgewiesen hat, kann der Prozess auch ohne dessen Anwesenheit stattfinden. Würde das Schiedsgericht die Seezonen der Philippinen anerkennen und die chinesische Besetzung von ‚trockenfallenden Erhebungen‘ als illegal erklären, wäre nicht nur Chinas 9-Punkte Linie nichtig, sondern auch das Argument der unbestreitbaren Souveränität. Die rechtlichen Positionen der Konfliktparteien wären auf Grund der Entscheidung gefestigt. Noch prüft das Gericht seine Zuständigkeit in diesem Fall.

Durchbruch für den Verhaltenskodex?

Hoffnungen auf eine Lösung der Konflikte im Südchinesischen Meer blieben bis zum jüngsten ASEAN-Gipfeltreffen 2013 gering. Politische Entscheidungsträger und Wissenschaftler behaupten, dass China wirtschaftlichen Druck auf kleinere ASEAN-Mitgliedstaaten wie Kambodscha, Laos und Myanmar ausübt. Laut Jaswant Singh, ehemaliger Finanz-, Außen- und Verteidigungsminister Indiens, ordnen einige ASEAN-Staaten ihre nationalen Interessen sowie ihre ASEAN-Ambitionen Chinas Interessen unter. Dies hatte zu einer starken Spaltung innerhalb der ASEAN geführt. Auf dem ASEAN-Gipfel 2012 wurde erstmals keine Abschlusserklärung abgegeben, da es für den vietnamesischen und philippinischen Wunsch nach Erwähnung des Scarborough-Riff-Vorfalls in der Erklärung keine Mehrheit gab.

Vor diesem Hintergrund kann das 22. ASEAN-Gipfeltreffen, welches im April dieses Jahres in Brunei stattfand, als kleiner Meilenstein gewertet werden. Die Abschlusserklärung des Gipfels enthält ein direktes Bekenntnis der ASEAN-Staaten und China zu einer Erarbeitung eines Verhaltenskodexes (Code of Conduct, COC). Die Einzelheiten des Übereinkommens sollen während des nächsten ASEAN-Treffen ranghoher Beamter (Senior Officials Meeting, SOM) im September 2013 besprochen werden.

Das grundsätzliche Einvernehmen zur Ausarbeitung eines Verhaltenkodex zwischen den ASEAN-Staaten und China bedeutet zunächst Entspannung: Peking hat die zentrale Forderung nach einem multilateralen Gesprächsrahmen vorläufig aufgegriffen.

Ernüchternde Fakten – Streit um ‚Nichts‘?

Gemäß des Berichts der US Energy Information Agency (EIA) im April 2013 befindet sich der größte Anteil der konventionellen Öl- und Gasressourcen nicht in den umstrittenen Teilen des Südchinesischen Meeres, sondern u.a. entlang der und angrenzend an den unangefochtenen Küstengebieten einzelner Anrainerstaaten. Das Südchinesische Meer, so die EIA, enthält – teilweise nachgewiesen oder wahrscheinlich – ca. 11 Millionen Barrel Erdöl und 5,4 Billionen Kubikmeter Erdgas . Die chinesische Regierung geht hingegen von weitaus größeren Öl- und Gasreserven im Südchinesischen Meer aus.

Von Rabea Brauer, Sarah Schulze, Sarah Schoenberger, 19. Juli 2013

http://www.kas.de/wf/doc/kas_35030-1522-1-30.pdf?130719131847